Am Ende der eher verkorksten Vorsaison traf Jan-Lennard Struff eine Entscheidung. Der Tennisspieler wollte seinen neuerlichen Anlauf Richtung Spitze auf der Tour unbedingt auch optisch untermauern.
Und so griff er zur Haarschneidemaschine und rasierte sich den Lockenschopf ab. Ob Zufall oder nicht: Seit Struff mit raspelkurzen Haaren spielt, geht es bei dem 33-Jährigen klar aufwärts.
Belegte der Warsteiner Ende 2022 in der Weltrangliste noch Platz 150, kratzt er nun an den Top 20 – auch wegen des märchenhaften Laufes beim topbesetzten ATP-Turnier in Madrid. Dort war schon der Einzug des Davis-Cup-Spielers in das Finale gegen Spaniens Jungstar Carlos Alcaraz eine Sensation. «Es waren sehr intensive Tage. Es ist eine Wahnsinnswoche», berichtete Struff im TV-Sender Sky.
Weil der lange verletzte Olympiasieger Alexander Zverev nach seiner Achtelfinal-Lehrstunde gegen Alcaraz (1:6, 2:6) erstmals seit April 2017 aus den Top 20 fallen wird, könnte Struff sogar zur neuen Nummer 1 im deutschen Tennis aufsteigen.
Sprung in Top-30
Dank des bislang einmaligen Aufstiegs des eigentlich in der Qualifikation ausgeschiedenen Lucky Losers zum Finalisten war ihm ein Preisgeld von mehr als einer halben Million Euro und der Sprung auf Weltranglistenplatz 28 bereits sicher. So hoch eingestuft war Struff noch nie.
«Es sprechen viele Dinge dafür, dass die Reise dann noch nicht zu Ende ist», sagte Davis-Cup-Kapitän Michael Kohlmann der Deutschen Presse-Agentur. Er gibt Struff auch bei den French Open ab dem 28. Mai gute Chancen: «Er schwebt auf einer Erfolgswelle und traut sich zu, auch gegen die ganz Großen zu gewinnen. Ich wünsche ihm, dass er das bis Paris transportieren kann.» Weil Struff die French Open im Vorjahr wegen einer Verletzung am Zeh verpasst hatte, muss er beim Grand-Slam-Turnier auf Sand keine Weltranglistenpunkte verteidigen.
Struff hat in Madrid und auch bei seinem Viertelfinaleinzug zuvor in Monte Carlo eindrucksvoll bewiesen, dass wieder mit ihm zu rechnen ist. Der Dreisatzsieg im Halbfinale von Madrid gegen den Russen Aslan Karazew, gegen den Struff in der Qualifikation noch verloren hatte, sei «eine Monster-Energieleistung» gewesen, meinte sein Trainer Marvin Netuschil. Und der frühere Tennisstar Boris Becker nannte den Warsteiner «eine Maschine».
Ins Stocken geraten
Im Vorjahr war diese Maschine ins Stocken geraten. Die langwierige Zehenverletzung hatte Struff verunsichert und aus den Top 100 der Weltrangliste befördert. Doch schon Ende des Jahres bewies Struff ansteigende Form, vor allem der Sieg im Davis-Cup-Viertelfinale gegen den kanadischen Topspieler Denis Shapovalov habe dem Deutschen «unglaublichen Auftrieb gegeben», wie Teamchef Kohlmann verriet. Komplett überraschend komme der Höhenflug für ihn nicht: «Struffi hat schon immer großes Potenzial gehabt.»
Ende August 2020 stand Struff als 29. der Welt schon einmal vor dem großen Durchbruch. Der soll ihm diesmal unbedingt gelingen. Der Aufschwung kommt spät, aber nicht zu spät. «Es stehen so langsam die letzten Jahre bevor, obwohl ich überhaupt noch nicht daran denke, aufzuhören», sagte der 33-Jährige Anfang des Jahres dem WDR. Sein Antrieb sei vor allem «die Liebe zum Spiel», doch er gab auch zu: «Den meisten Spaß hat man, wenn man mehr gewinnt und höher in der Weltrangliste steht.»
Weitere Nachrichten
Koepfer muss verletzt für Wimbledon absagen
Koepfer muss verletzt für Wimbledon absagen
Wimbledon beginnt: Chance für Zverev, Rätsel um Djokovic