28. April 2024

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Rehms Traum: Historische neun Meter statt Olympia-Start

Zweimal hat Prothesen-Weitspringer einen Start bei Olympia angestrebt. Einen dritten Versuch wird er wohl nicht starten. Sein Traum ist längst ein neuer. Und wäre noch größere Sportgeschichte.

Seinen jahrelangen Traum von Olympia wird Markus Rehm wohl zermürbt aufgeben. Aber der Prothesen-Weitspringer will nun in anderer Hinsicht Sportgeschichte schreiben: Er träumt davon, als erster Mensch überhaupt neun Meter zu springen.

«Das wäre historisch, eine magische Marke. Wie der erste Marathon unter zwei Stunden», sagte Rehm der Deutschen Presse-Agentur. Den Para-Weltrekord schraubte er jüngst auf 8,72 Meter. Seit 14 Jahren ist kein Mensch, auch keiner mit zwei Beinen, weiter gesprungen.

Rehm: «Olympia hat mich gereizt, aber nie gepackt»

Bei den Olympischen Sommerspielen 2021 in Tokio ging Weitsprung-Gold mit 8,41 Metern weg. Auch das steigert den Widerstand gegen Rehms Doppelstart, obwohl er bei Olympia immer nur in getrennter Wertung antreten wollte. Aber dass er – anders als der inzwischen inhaftierte Stelzen-Sprinter Oscar Pistorius mit seinem Halbfinal-Aus über 400 Meter bei Olympia 2012 – den Olympiasieger düpiert und ihm die Show stiehlt, das will kein Offizieller.

Das hat Rehm inzwischen eingesehen. Und diesen Kampf gegen Windmühlen wird er mit ziemlicher Sicherheit aufgeben. «Ganz entschieden habe ich das noch nicht», sagte der 34-Jährige, der in Paris am Freitag, dem französischen Nationalfeiertag, nach dem sechsten WM-Gold in Serie greift: «Aber ich muss ehrlich sagen: Olympia hat mich gereizt, aber nie gepackt. Es ging mir darum, meinen Sport zu zeigen. Und ich denke heute: Wenn man richtig, richtig weit springt, kann man das, auch ohne Olympier zu sein.»

Rehm hatte schon zweimal einen Start bei Olympia angestrebt. Vor den Spielen 2016 in Rio wurde er vom Leichtathletik-Weltverband gestoppt, vor den Tokio-Spielen scheiterte er mit einem Antrag beim Internationalen Sportgerichtshof Cas. Auch Rehms Trainerin Steffi Nerius rechnet nicht damit, dass er noch mal einen Anlauf Richtung Olympia nimmt. «Er hatte immer wenig Unterstützung dabei. Und dass er keine Lust mehr hat, alleine vor den Cas zu ziehen, kann ich verstehen», sagte die frühere Speerwurf-Weltmeisterin der dpa.

Nerius traut Rehm die neun Meter zu

Der neue Traum heißt nun: Neun Meter. «Es ist unwahrscheinlich. Aber vor einigen Jahren habe ich auch gedacht, acht Meter seien hart. Und 8,50 Meter quasi nicht möglich. Jetzt bin ich bei 8,72 Meter. Und man muss träumen, sonst wäre man kein Leistungssportler», sagte der viermalige Paralympicssieger: «Ich bin jetzt schon in der Top 10 der besten Springer. Nur acht Menschen mit Beinen stehen vor mir. Der olympische Weltrekord steht bei 8,95 Metern. Der beste Sprung mit Wind war 8,99 Meter. Die Neun hat noch niemand da stehen. Das ist eine Hausnummer. Aber muss sich selbst erlauben, das nicht für abwegig zu halten.»

Nerius traut ihm das zu. «Ich glaube schon, dass er das schaffen kann», sagte sie: «Aber ich will ihn nicht zu sehr unter Druck setzen. Und es sollte keiner erwarten, dass es morgen passiert. Es muss in einem bestimmten Moment alles passen. Wenn alles zusammenkommt, wird man es vielleicht einmal schaffen können. Und danach nur schwer wiederholen.»

Es war der jüngste Weltrekord vor knapp drei Wochen in Rhede, der beiden die Zuversicht gab, dass der historische Sprung möglich ist. «Ich habe an dem Tag null damit gerechnet», sagte Rehm: «Ich habe vorher überlegt, ob ich den Wettkampf überhaupt machen soll. Und ich habe sehr schlecht geschlafen in der Nacht davor.» Umso erstaunter war er, als Nerius ihm zeigte, dass er bei der Landung noch einige Zentimeter verschenkt hat. «Und das waren nicht nur zwei oder drei», sagte Rehm: «Da denkt man schon: Wenn die Bedingungen noch eine Spur besser sind und ich noch besser drauf, hey, dann kann es vielleicht passieren.»

Das treibt ihn auch an, mit fast 35 noch weiterzumachen. «Im Moment habe ich das Gefühl, dass noch was drin ist. Und ich will schon wissen, wie weit es geht», sagte er: «Wenn ich merke, dass ich die Grenze erreicht habe, ist es völlig okay, aufzuhören.» Und wenn das die neun Meter sind? «Dann ist mir völlig egal, was danach kommt», sagte er. Dann hätte er nämlich Sportgeschichte geschrieben.

Von Holger Schmidt, dpa