27. April 2024

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Corona-Alarm beim Giro d’Italia – «Fliege noch mit Maske»

Corona geht wieder um im Radsport - ausgerechnet kurz vor dem Giro d'Italia. Der deutsche Hoffnungsträger Lennard Kämna ist entsprechend vorsichtig - denn er hat große Ziele.

Die Maske durfte im Gepäck von Lennard Kämna nicht fehlen. Denn kurz vor dem Giro d’Italia herrscht im Radsport wieder Corona-Alarm.

«Ich fliege auf jeden Fall noch immer mit Maske und vermeide das Risiko, dass ich mich da anstecke. Aber ich lebe jetzt nicht in absoluter Isolation», sagte Kämna vor dem Auftakt in Fossacesia Marina der Deutschen Presse-Agentur.

Erst am Donnerstag hatte Topfavorit Primoz Roglic bereits seinen dritten Helfer durch die Corona-Infektion von Jos van Emden (Niederlande) verloren. Und auch der Italiener Giulio Ciccone, Kapitän des Trek-Teams, musste nach einem Positiv-Test genauso passen wie der Schweizer Gino Mäder, der 2021 eine Etappe gewonnen hatte. Aus Kämnas Bora-hansgrohe-Team war zuletzt Emanuel Buchmann von Corona betroffen.

Kämna ist bereit für das Projekt Giro

Bloß kein unliebsamer Rückschlag, denn bislang lief alles nach Plan bei Kämna in diesem Jahr: Das Gewicht ist am unteren Limit, die Form auf einem Top-Niveau und die Vorfreude riesengroß. Der Hochbegabte aus Fischerhude ist bereit für sein großes Projekt Giro und will erstmals bei einer Grand Tour unter die besten Zehn fahren. Oder ist noch viel mehr drin? Vielleicht sogar das Rosa Trikot? «Wenn ich die Chance bekomme und das irgendwo so klappt, dann auf jeden Fall, aber das ist nicht meine Erwartung», sagte Kämna.

Der frühere Junioren-Weltmeister, der schon Hochgebirgsetappen bei der Tour de France (2020) und dem Giro (2022) gewann, will sich nicht unter Druck setzen. Schließlich hat er in dieser Saison eine Wandlung vollzogen, vom Etappenjäger zum Klassement-Fahrer. Er wolle wissen, was in seinem Körper steckt. Teamchef Ralph Denk von Bora-hansgrohe glaubt an das Riesenpotenzial des 26-Jährigen. «Er ist ein Freigeist auf dem Rad», sagte der Bayer, der sehr zufrieden mit Kämna ist: «Bei ihm läuft es sehr gut. Er ist sehr fokussiert.»

Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Zweimal musste Kämna in drei Jahren eine längere, mentale Auszeit nehmen. «Wenn du eine Pause machst und denkst über ein paar Sachen nach, kommen auch Gedanke wie „Hörst du auf mit dem Sport?“ Aber eigentlich nicht. Du bist noch nicht fertig damit. Du hast noch nie diesen Sport zu 100 Prozent durchgezogen», berichtete Kämna jüngst in einer Dokumentation beim NDR.

Kämna und Wlassow teilen sich die Kapitänsrolle

Seitdem hat er an einigen Stellschrauben in seinem Leben gedreht. Kämna ist an den Bodensee nach Lochau gezogen, lebt dort mit seiner Freundin Ria Schwendinger, eine frühere Eiskunstläuferin. Er hat auch die Hilfe eines Psychologen in Anspruch genommen. Inzwischen scheint er deutlich ausgeglichener zu sein.

So hat Kämna auch die vielen Entbehrungen bei der langen Vorbereitung auf den Giro – unter anderem gab es zwei Höhentrainingslager auf Teneriffa und in der Sierra Nevada – weggesteckt. «Ich habe versucht, den Weg zum Giro auch ein bisschen zu genießen und das halt als eine Art Erlebnis, als schöne Zeit zu sehen. Ich war mir schon darüber bewusst, dass das fünf Monate sind, wo man wenig zu Hause ist, aber man kann sich die Zeit im Trainingslager schön machen», so Kämna, der sich im Bora-hansgrohe-Team mit dem Russen Alexander Wlassow die Kapitänsrolle teilt.

Bei den kleineren Rundfahrten Tirreno-Adriatico und Tour of the Alps hat das schon gut funktioniert. In der Gesamtwertung belegte Kämna, der bei 1,81 Metern Körpergröße knapp unter 65 Kilogramm auf die Waage bringt, die Plätze vier und sechs. Dazu gewann er eine Bergetappe in den Alpen. Was fehlt da noch bis zu einem Roglic oder einem Remco Evenepoel (Belgien), den beiden großen Favoriten auf den Giro-Gesamtsieg? Ein paar Prozent, meint Kämna: «Wie groß die Lücke zu Roglic oder Evenepoel ist, werden wir dann sehen. Ich hoffe, dass sie sehr klein ist und dass ich da ein bisschen mit rumärgern kann und eine Rolle spiele beim Giro.»

Vielleicht schon beim Auftakt in seiner Spezialdisziplin, dem Zeitfahren. Mehr als 70 Kilometer im Kampf gegen die Uhr sind bei drei Zeitfahren nach dem Geschmack des deutschen Meisters. Entschieden wird der Giro aber in den Bergen mit mehr als 50.000 Höhenmetern.

Stefan Tabeling, dpa