18. April 2024

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«Löwe» Cissé: Trainer, Rekordmann und Double von Snoop Dogg

Nationaltrainer Aliou Cissé ist bei Afrikameister Senegal der große Anführer. So wie 2002, als er noch Kapitän war. Vor 20 Jahren hatte Cissé aber auch einen schlimmen Schicksalsschlag zu verarbeiten.

Mit seinem grauen Kapuzen-Pulli und der Basecap sticht Aliou Cissé in der WM-Welt der Anzugtrainer unweigerlich heraus. Der 46-Jährige, der in den sozialen Medien sogar die Aufmerksamkeit von US-Megastar Snoop Dogg erregt, hat bei der Fußball-Endrunde in Katar aber längst nicht nur äußerlich seine Spuren hinterlassen.

Mit Afrikameister Senegal steht er am Sonntag (20.00 Uhr MEZ/MagentaTV) im Achtelfinale gegen England. Dann wird Cissé «ganz sicher» auf der Bank sitzen, obwohl er zuletzt zwei Tage lang krank war und das Trainings nicht leiten konnte, wie sein Co-Trainer Regis Bogaert am Samstag berichtete.

Cissé ist der erste afrikanische Trainer, der drei WM-Siege geholt hat. Das mag eine weniger erstaunliche Marke sein. Zum Vergleich: Joachim Löw hat zwölf Erfolge vorzuweisen. Allerdings wurden afrikanische Trainer bis vor wenigen Jahren noch oft belächelt und vor großen Turnieren durch namhafte Europäer ausgewechselt. Und auch Cissé hatte eher das Standing eines Platzhalters, als er vor sieben Jahren die Verantwortung übertragen bekam.

Cissé hat Beachtliches geleistet

Doch seitdem hat Cissé Beachtliches geleistet. Der Mann aus Ziguinchor führte die Westafrikaner 2018 erstmals wieder zur WM und auch beim Afrika-Cup ist Senegal eine feste Größe geworden. Wurde 2019 noch das Finale verloren, folgte im Februar dieses Jahres die Krönung mit dem Titelgewinn. Ist womöglich bei der WM ein historischer Coup drin? «Die Dinge haben sich geändert. Ein afrikanisches Team kann die WM gewinnen. Ich hoffe, dass es Senegal ist», sagt der Coach. Auch die weiteren afrikanischen WM-Teilnehmer Kamerun (Rigoberto Song), Ghana (Otto Addo), Marokko (Walid Regragui) und Tunesien (Jalel Kadri) sind dem Beispiel gefolgt und haben Trainer mit afrikanischen Wurzeln installiert.

Ungeachtet der sportlichen Erfolge hat es Cissé mit seinem Charisma und seiner Aura geschafft, die Löwen von Teranga zu einer echten Einheit zu formen. Kapitän Kalidou Koulibaly spricht von der «großen Familie auf und neben dem Platz». Dieses Gemeinschaftsgefühl lebt auch der verletzt fehlende Bayern-Superstar Sadio Mané vor, der den Teamkollegen fast täglich Nachrichten schickt und als Ratgeber hilft.

Cissé habe eine «riesige Energie» wenn es um ein Projekt gehe, schwärmte Bogaert. «Wenn er weiß, wohin er will, gibt er absolut alles, um das zu erreichen.» Außerdem sei der Chefcoach sehr gut darin, Neues zu lernen und das Gelernte umzusetzen. «Und er sagt immer direkt, was er denkt. Er ist offen und ehrlich, das schätzen die Spieler.»

«Er ist ein Löwe»

Für Egotrips ist in der senegalesischen Kabine bei dieser WM kein Platz. So war es auch 2002, als Senegal im WM-Eröffnungsspiel Frankreich (1:0) düpiert hatte und bis ins Viertelfinale gestürmt war. Mit dabei war Cissé als Kapitän. Einige Spieler aus der damaligen Generation hat der Coach auch heute in seinem Trainerstab vereint.

Das Jahr 2002 verbindet Cissé aber nicht nur mit dem größten sportlichen Erfolg, sondern auch mit einem schweren Schicksalsschlag. Am 26. September 2002 sank das völlig überladene Fährschiff La Joola in einem Sturm vor der Küste Gambias. 1873 Menschen starben, mehr als beim Untergang der Titanic. Darunter waren zwölf Familienmitglieder von Cissé – Onkel, Tanten, Neffen, Nichten und eine Schwester. «Es war ein komplizierter und schwieriger Tag, aber ich musste stark für meine Familie sein», berichtete Cissé in einem Interview bei BBC Afrika zum 20. Jahrestag des Unglücks.

Wenige Tage später stand er trotzdem wieder auf dem Platz und spielte für Birmingham City. Stärke, die Cissé auch heute als Coach demonstriert. «Er ist ein Löwe. Und wenn er zu uns spricht, ist er auch wie ein Löwe», sagt Mittelfeldspieler Pape Gueye. Ob Cissé auch gut rappen kann, ist indes nicht überliefert. Snoop Dogg findet ihn trotzdem gut. Den Tweet, in dem ein User fragte, warum der Musikstar plötzlich Senegal trainiert, kommentierte Snoop Dogg selbst mit einem Fußball.

Stefan Tabeling, dpa