28. März 2024

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Kimmich und das WM-Loch: «Spielen, bis ich 45 bin»

41 Tage nach dem WM-Aus der Nationalmannschaft bezieht Joshua Kimmich Position - und das in Katar. Drei vermurkste Turniere kann der Klassensprecher der 1995er-Generation «nicht einfach abhaken».

Joshua Kimmich rang sich im Verlauf seiner WM-Befragung unweit des Chalifa-Stadions sogar einen witzigen Spruch als Antwort ab. Nach dem inzwischen dritten vermurksten Turnier nacheinander müsse er wohl «einfach spielen, bis ich 45 bin», um mit der Fußball-Nationalmannschaft auch mal schöne und erfolgreiche DFB-Zeiten zu erleben.

Spätestens an dieser Stelle war im Trainingslager des FC Bayern München in Katar klar, dass der 27-Jährige nicht in jenem mentalen WM-«Loch» verschwindet, vor dem er sich unmittelbar nach dem nächsten deutschen WM-Desaster am 1. Dezember gefürchtet hatte. «Die Aussagen direkt nach dem Spiel waren natürlich sehr emotional, weil mir so etwas nahe geht, weil man große Ziele hat, weil wir große Ziele hatten», sagte Kimmich nun 41 Tage später zurück in Katar.

WM-Vorrunden-Aus in Russland «fast schwieriger»

Die Zeit heilt Wunden, heißt es. Kimmich hat das Scheitern in den Urlaubswochen danach für sich verarbeitet, auch wenn er es «nicht einfach vergessen und abhaken» könne. Insbesondere er nicht, der Profi, der auf dem Fußballplatz zwischen Ehrgeiz und Verbissenheit pendelt. Kimmich ist der Klassensprecher jener vermeintlich nächsten «Goldenen DFB-Generation» um die in den Jahren 1995 und 1996 geborenen Nationalspieler wie Serge Gnabry, Leon Goretzka, Niklas Süle oder Leroy Sané, der am Mittwoch in Bayerns Wintercamp seinen 27. Geburtstag verbrachte.

Die Aufgaben als inzwischen dreifacher Familienvater hätten ihm während des Urlaubs am Meer geholfen, erzählte Kimmich. «In ein Loch bin ich ehrlicherweise nicht unbedingt gefallen. Das ist, glaube ich, auch so ein bisschen meinen drei Kindern geschuldet.» Sie lenkten ihn ab, verlangten seine Aufmerksamkeit. «Da war es schwierig, in irgendein Loch zu fallen. Da hat man andere Aufgaben.» 2018, nach dem ersten WM-Vorrunden-Aus in Russland, sei das «fast schwieriger» gewesen.

Damals habe in der deutschen Mannschaft, die als Weltmeister angereist war, «ganz wenig gestimmt». Beim EM-Achtelfinal-Aus 2021 gegen England sei es ein «Fifty-Fifty-Spiel» gewesen, das man im Londoner Wembleystadion verloren habe. «Und jetzt war nicht alles super. Aber uns haben 30 Minuten gegen Japan das Turnier gekostet», findet Kimmich. Aus einem 1:0 wurde im WM-Auftaktspiel ein 1:2.

Beim Neubeginn Richtung Heim-Europameisterschaft 2024 wird Kimmich natürlich wieder in verantwortlicher Position und vielleicht sogar – nach der langfristigen Verletzung von Torwart Manuel Neuer – als neuer Kapitän dabei sein. «Und dann werden wir ab März hoffentlich attackieren», kündigte der Mittelfeldchef an.

Spitzensportler blicken stets nach vorne. Auch Kimmich, der sieben Wochen zuvor im Stadion von Al-Chaur den Tränen nahe vom «schwierigsten Tag meiner Karriere» gesprochen hatte. An Rücktritt, ans Aufgeben dachte er aber auch da nicht. «Man hat nicht allzu viele Chancen – gerade mit der Nationalmannschaft», sagte er jetzt.

Kimmich wirkt noch ehrgeiziger als zuvor

Wenn die DFB-Auswahl am 14. Juni 2024 in München das EM-Eröffnungsspiel bestreitet, wird Kimmich schon 30 sein. Bei der nächsten WM ist er 32. Aber das ist für ihn noch weit weg. Jetzt trägt er wieder das Bayern-Trikot. In dem wurde er 2020 Champions-League-Sieger und 2021 Club-Weltmeister – darin ist (auch) er ein Gewinnertyp. Er ist top motiviert für die zweite Hälfte der verflixten WM-Saison. «Wir haben noch große Ziele, ein paar Titel sind noch zu vergeben.» Das Triple!

Im Bayern-Training auf der Aspire Anlage sticht er regelmäßig heraus. Jeden noch so kleinen Wettkampf will Kimmich gewinnen. Am Dienstagabend übte er gemeinsam mit seinen DFB-Kollegen Jamal Musiala und Gnabry noch eifrig Torschüsse. Mit links, mit rechts, immer wieder schoss das Bayern-Trio aufs Tor. «Torgefahr, da kann ich mich verbessern», sagte Kimmich. Er wirkt noch eine Spur ehrgeiziger als zuvor.

«Das Immer-Weitermachen ist in uns drin», erläuterte Thomas Müller, als er in Doha zu möglichen negativen Auswirkungen des schlechten WM-Verlaufs angesprochen wurde. Auch den Routinier stacheln Misserfolge eher an: «Wir beim FC Bayern sind die Spitze der Spieler, die mit dem Druck umgehen können und müssen.» Kimmich will sich dabei treu bleiben: «Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich ändern muss.»

Von Klaus Bergmann und Christian Kunz, dpa