19. März 2024

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Infantinos Welt – auch ohne Deutschland

Lange ringt der Deutsche Fußball-Bund um den richtigen Umgang mit Gianni Infantino. Die Wiederwahl soll nun nicht unterstützt werden. Gleichwohl steht der FIFA-Präsident vor der nächsten Feierstunde.

Auf den Fluren der edlen FIFA-Hotels in Ruanda herrschte rege Betriebsamkeit. In den vielen Gesprächen über den heiklen Umgang mit dem schier unantastbaren Gianni Infantino fand der Deutsche Fußball-Bund nach langem Ringen eine erstmals deutliche Antwort.

«Der DFB wird die Wiederwahl von FIFA-Präsident Gianni Infantino in Kigali nicht unterstützen», teilte DFB-Präsident Bernd Neuendorf mit – im Wissen, dass die Wiederwahl des Schweizers beim Wahlkongress des Fußball-Weltverbands am Donnerstag (8.00 Uhr MEZ) dennoch nur Formsache bleibt. 

«Die FIFA muss im Umgang mit den nationalen Verbänden deutlich offener und transparenter werden», forderte Neuendorf. «Sie sollte im eigenen Interesse erklären, wie und warum bestimmte Entscheidungen zustande kommen und wer an ihnen mitgewirkt hat. Das ist zuletzt nicht immer der Fall gewesen.»

Parallel zur DFB-Mitteilung weihte Infantino im blauen T-Shirt mit der Nummer 9 das «Pelé Stadion» in Kigali zu Ehren der gestorbenen brasilianischen Ikone ein – von der Tribüne gab es choreografiertes Klatschen. Ohne Gegenkandidaten darf Infantino wie bereits vor vier Jahren auf eine Wiederwahl per Applaus hoffen – die Opposition beschränkt sich auf Teile Europas.

Neuendorf betonte, an einem «kritisch-konstruktiven Dialog mit der FIFA, insbesondere auch mit ihrem Präsidenten» interessiert zu sein. Der DFB-Chef, der gemeinsam mit anderen Europäern im «One Love»-Streit bei der WM in Katar von Infantino brüskiert worden war, weiß um die Abhängigkeiten. Im kommenden Jahr wird die Frauen-WM 2027 vergeben, um die sich auch der DFB bewerben wird.

Infantino genießt breite Unterstützung

Die europäische Kritik an Infantino, gegen den in der Schweiz zwei Sonderstaatsanwälte in einer undurchsichtigen Justiz-Affäre ermitteln, wird in großen Teilen der Fußballwelt nicht geteilt. Im Gegenteil, Infantino weiß um die begeisterte Unterstützung der Mehrheit der 211 FIFA-Mitglieder. Beim Wahlkongress 2019 in Paris war es Scheich Salman bin Ibrahim Al Chalifa, der vorschlug, den Schweizer mit warmem Applaus anstatt mit einer Abstimmung im Amt zu bestätigen. Drei Jahre zuvor war der Bahrainer noch ärgster Konkurrent beim vermeintlichen Neubeginn nach den FIFA-Skandaljahren.

Infantino hat seine Macht seit 2016 und der Ablösung des da schon gesperrten Joseph Blatter kontinuierlich ausgebaut. Die vor seiner Amtszeit nach Katar vergebene WM meisterte Infantino mit großer Anbiederung an das Gastgeberland. Nach Saudi-Arabien, das auch gerne eine Endrunde ausrichten will, pflegt der umtriebige Schweizer beste Beziehungen. Dass das in der FIFA-Welt beklatscht statt wie von Menschenrechtsorganisationen kritisch beäugt wird, liegt insbesondere am großen Geld.

Von 2019 bis 2022 schüttete die FIFA gut eine Milliarde US-Dollar an ihre Mitgliedsverbände aus. Von 2023 bis 2026 soll die Summe für jeden einzelnen der 211 Verbände auf acht Millionen US-Dollar steigen. Nicht eingerechnet in die erwarteten Einnahmen von elf Milliarden für den nächsten WM-Zyklus sind die erst am Dienstag beschlossenen Expansionspläne. Die Anzahl der WM-Spiele bei der Endrunde 2026 in den USA, Kanada und Mexiko wurde von 80 auf 104 erhöht. Ab 2025 wird mit der Club-WM mit 32 Mannschaften das nächste Highlight-Turnier mit großem Erlösversprechen organisiert.

Keine schlagkräftige Opposition

So bleibt es eine Illusion, dass sich in der riesigen FIFA, in der die Stimme aus Macau so viel zählt wie die aus Deutschland, tatsächlich eine schlagkräftige Opposition bildet. Zumal auch in sportlichen Fragen in den kleinen Nationalverbänden die Bedenken der historisch erfolgreichen Nationen nicht geteilt werden. Eine in der Qualität verwässerte WM mit mehr Teilnehmern ist den schlechter platzierten Fußballländern lieber als eine mit ausschließlich den Messis und Musialas dieser Welt – aber ohne sie selbst.

«Wir müssen ihn auch an seinen Taten messen», hatte Neuendorf zuletzt über Infantino gesagt, erst im April wird der DFB-Präsident vom Kongress der Europäischen Fußball-Union ins FIFA-Council gewählt. Klaveness folgte in dieser Frage bereits am Wochenende in der «Sportschau» mit der Wertung: «Wir glauben, dass er viele Gelegenheiten verpasst hat, die Änderungen, für die er gewählt wurde, wirklich umzusetzen.» Aus der Schweiz und Österreich erklang dagegen Unterstützung für den Amtsinhaber.

Zuletzt ließ sich Infantino vom Council bescheinigen, dass die ersten gut drei Jahre seiner Zeit als FIFA-Präsident nicht gegen die Amtszeitbegrenzung zählen. So könnte er auch in vier Jahren noch einmal wiedergewählt werden und seinen Posten bis 2031 behalten. 

Dass Infantino während seiner bislang sieben Jahre längst nicht alle seiner teils abenteuerlichen Pläne umsetzen konnte, lag am geschlossenen Widerstand aus Europa. Dabei ging es aber nicht um Menschenrechte und Statuten, sondern wieder ums Geld. Eine WM alle zwei Jahre oder eine globale Nations League hätten die Milliarden-Einnahmen der UEFA und deren eigene Wettbewerbe gefährdet. Da hört der Spaß für mehrere Funktionäre auf, erst da.

«Ich muss sagen, mittlerweile arbeiten wir zusammen. Auch, wenn wir kaum miteinander kommunizieren», sagte UEFA-Präsident Aleksander Ceferin im ZDF-Interview über Infantino. «Aber wir müssen auch nicht so viel miteinander sprechen. Sofern wir inhaltlich nicht über Kreuz liegen, ist es okay. Wenn es nicht um europäische Interessen geht, streite ich mich mit ihm nicht.» Auf die Frage, ob er nicht in Zukunft ein geeigneter Herausforderer sein könne, antwortet der Slowene meist mit einem ablehnenden Grinsen.

Jan Mies und Florian Lütticke, dpa