28. März 2024

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Ex-Champion Vollmer: «Die NFL ist ein knallhartes Business»

Wie gehen Sportler mit dem enormen mentalen Druck um? Ex-Football-Profi Sebastian Vollmer kennt die NFL bestens - und gibt im Interview Einblicke in das Milliardengeschäft.

Sebastian Vollmer ist der erfolgreichste deutsche Football-Profi der Geschichte. Zweimal gewann der Ex-Profi den Super Bowl in der NFL.

Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht der 37-Jährige vor dem Saisonstart über die Favoriten, die Aussichten der deutschen Profis und warum sein früherer Sport in den USA ein «wahnsinniges» Geschäft ist.

Die Tampa Bay Buccaneers und die Dallas Cowboys eröffnen die neue NFL-Saison. Trauen Sie Tom Brady erneut den Titel zu?

Sebastian Vollmer: Absolut. Da ich Tom gut kenne, weiß ich, dass sein Team jetzt noch besser sein wird als letzte Saison. Damals war alles neu, der Kader ein bisschen zusammengewürfelt. Jetzt haben sie ein Jahr zusammengespielt und sich gefunden. Dazu konnten alle wichtigen Spieler gehalten werden. Der Titel gab zusätzliches Selbstvertrauen. Für mich sind die Buccaneers und Kansas City die großen Favoriten.

Brady ist inzwischen 44 Jahre alt. Wie schafft er es, auch in diesem Alter noch so konstant auf diesem Toplevel unterwegs zu sein?

Vollmer: An erster Stelle steht sein riesiges, gottgegebenes Talent. Er ist ein Jahrtausendtalent, das es so in diesem Sport vorher nicht gab. Aber er investiert auch unfassbar viel – in seine Fitness, seine Gesundheit, seine Ernährung. Seit Jahren muss er sich anhören, dass seine Leistungen irgendwann abfallen würden. Stattdessen wird er aber immer besser oder hält sein Level zumindest. Sein Spiel lebt vor allem von seiner Intelligenz und die geht im Alter ja nicht verloren. Tom sagte mal: „Wer mich schlagen will, muss seine Familie und alles andere aufgeben.“ Da ist schon etwas dran. Er selbst tut das auch.

Wie gut tut jedes Jahr, das er noch spielt, der ganzen NFL?

Vollmer: Jedes Jahr, das Tom noch dranhängt, ist für die Liga ein gewonnenes Jahr. Ich sage immer: Liebe oder hasse ihn. Aber ich rate auch jedem: Realisiere, was für ein Spieler das ist. Irgendwann kommt immer der Zeitpunkt, in dem die Michael Jordans oder Tiger Woods‘ dieser Welt nicht mehr spielen. Und später realisiert man dann: Oh, da kam tatsächlich kein anderer heran. Deswegen sollte man diese Leistungen, die bestimmte Sportler bringen, nach Möglichkeit genießen. Denn vielleicht siehst du sie in dieser Form nie wieder.

Wie steht’s um die deutschen Spieler in der neuen NFL-Saison? Welche Rollen trauen Sie Jakob Johnson bei den New England Patriots und Amon-Ra St. Brown bei den Detroit Lions zu?

Vollmer: Jakob ist ein besonderer Spieler, der die Anforderungen an einen Fullback gut erfüllt und bei den Patriots bislang einen hervorragenden Job macht. Dazu hat sein Team ein Verletztenproblem auf der Tight-End-Position. Er hat ja selbst schon gesagt, dass er eine Art deutsches Taschenmesser und flexibel einsetzbar sein will. Ich sehe ihn viel auf dem Platz stehen. Amon-Ra ist ein guter Receiver. Er wurde schon zu College-Zeiten hoch gehandelt und hat bislang viel richtig gemacht. Ich glaube, dass er große Ziele hat.

Equanimeous St. Brown hat den Sprung in den 53-Mann-Kader der Green Bay Packers nicht geschafft. Wie weit wirft ihn das zurück?

Vollmer: Es ist nicht das Ende. Die NFL ist ein knallhartes Business. Wenn du entlassen wirst, heißt es nicht automatisch, dass du nicht gut genug bist. Vielleicht passt du in diesem Moment einfach nicht in dieses Team. Jeden Sommer werden zig Spieler aussortiert. Aber viele von ihnen finden trotzdem später ihren Weg.

Sie selbst haben dieses knallharte Business NFL jahrelang erlebt, auch seine Schattenseiten. Wollen Sie mit Ihrem neuen Buch «What It Takes» die Menschen für das, was alles an Arbeit hinter der Show steckt, sensibilisieren?

Vollmer: Ja, ich wollte zumindest meine Wahrheit erzählen. In den drei Stunden sonntags sieht man nur diese ganzen tollen Catches und Blocks. Das, was erst dort hinführt, sieht man nicht. Ich will in meinem Buch beschreiben, was man machen und wie man von anderen lernen kann, mit diesem großen mentalen Druck umzugehen, um in dieser Liga zu bestehen und vielleicht sogar oben mitzuspielen. Im Idealfall können Nicht-Sportler beim Lesen dann eine Brücke zu ihrem eigenen Berufsleben bauen. Es ist ein wahnsinniges Geschäft, das mir ein tolles Leben ermöglicht, mir aber eben auch sehr viel abverlangt hat.

Druck ist ein viel diskutiertes Thema im Leistungssport. Fehlt jugendlichen Talenten hier und da heute tatsächlich der letzte Biss oder ist der mentale Stress durch gesellschaftliche Veränderungen und den Einfluss sozialer Medien auch einfach deutlich größer geworden?

Vollmer: Ja, die sozialen Medien sind definitiv ein riesiger Faktor. Zu meiner aktiven Zeit gab es sie auch schon, aber sie waren nicht so dominant. Viele sagen, sie würden sie nicht beeinflussen. Aber nach einem Spiel gehen in der Kabine heute über 50 Handys an, glaube ich. Da kannst du dir im Zweifelsfall dann ungefiltert durchlesen, wie du oder sogar deine Familie angefeindet werden. Das geht oft zu weit. Und es nicht an sich heranzulassen, ist nicht immer einfach.

Wie wird man dessen Herr? Müssen Vereine ihr sportpsychologisches Angebot noch erweitern?

Vollmer: Zumindest im Football wird ja schon einiges angeboten. Die Möglichkeit, sich da beraten und helfen zu lassen, gibt es. Zu meiner aktiven Zeit blieb das Büro des Sportpsychologen aber oft leer. Es gehört eben auch viel dazu, sich seine Ängste und Sorgen in der Kabine vor den anderen einzugestehen. Das ist der erste Schritt.

Nochmal ein Bogen zurück zur sportlichen Seite der NFL. Wie erklären Sie sich diesen Boom, den der Football in Deutschland in den vergangenen Jahren erlebt hat?

Vollmer: Ich glaube, der Football fängt Leute ein, die mit dieser Omnipräsenz des Fußballs wenig anfangen können und etwas anderes gesucht haben. Die Übertragungen im Free-TV und diese Inszenierung als Event haben einen großen Schub gegeben. Du kannst sonntags mit Familie und Freunden grillen und nebenher Sport schauen. Was es auch braucht, sind Spieler, zu denen du einen Bezug aufbauen kannst. Dirk Nowitzki war da für den Basketball und die NBA ein Geschenk. Der deutsche Fan freut sich vielleicht einfacher mit einem Team mit, wenn auch ein Deutscher darin spielt. Eben solche Jungs wie Jakob Johnson.

ZUR PERSON: Der frühere American-Football-Profi Sebastian Vollmer (37) spielte von 2009 bis 2016 in der National Football League für die New England Patriots als Offensive Tackle. An der Seite von Star-Quarterback Tom Brady gewann er zweimal den Super Bowl. Nach seiner Karriere ist Vollmer unter anderem als TV-Experte tätig und hat sein zweites Buch veröffentlicht.

Von Christoph Lother, dpa