19. April 2024

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Der Fall Hempel: Folgen für den ganzen Sport?

Der frühere Wasserspringer Jan Hempel will den Deutschen Schwimm-Verband auf Schmerzensgeld und Schadenersatz im Millionen-Bereich verklagen. Der Fall könnte Signalwirkung haben.

Für Jan Hempel geht es um viel Schmerzensgeld, für den deutschen Sport ist es ein Fall mit womöglich weitreichenden Folgen.

Die angekündigte Millionenklage des früheren Wasserspringers gegen den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) wegen jahrelangen sexuellen Missbrauchs durch seinen Trainer könnte zum Präzedenzfall für den Umgang mit sexualisierter Gewalt und die Verantwortung von Verbänden werden.

«Je mehr Fälle an die Öffentlichkeit kommen, desto mehr trauen sich auch andere Betroffene, an die Öffentlichkeit zu gehen», sagt DSV-Vizepräsident Wolfgang Rupieper der Deutschen Presse-Agentur. «Da könnten noch viel mehr Forderungen auf Verbände zukommen.»

Hempel fordert vom DSV Schadenersatz und Schmerzensgeld in siebenstelliger Höhe. «Es ist der krasseste Missbrauchsfall, den der deutsche Sport je erlebt hat», sagte sein Anwalt Thomas Summerer zuletzt in der ARD-«Sportschau». Hempel wirft seinem inzwischen verstorbenen Trainer Werner Langer vor, ihn in den 1980er und 1990er Jahren missbraucht zu haben. Im vergangenen Sommer war der 51-jährige Dresdner, der bei Olympia 1996 Silber und 2000 Bronze vom Turm gewann, damit an die Öffentlichkeit gegangen. Der Fall löste eine breite Diskussion über Missbrauch und Gewalt im deutschen Sport und deren Aufarbeitung aus.

Millionenklagen könnten zu Insolvenzfällen führen

Bei über 1200 Fällen sexuellen Missbrauchs über einen Zeitraum von 14 Jahren hinweg dürfe es nicht verwundern, wenn man einen hohen Betrag vom DSV fordere, sagte sein Anwalt. Laut Verbandsvizepräsident Rupieper darf der Verband aber gar keine Entschädigung zahlen. «Aufgrund unserer Satzung können wir für Einzelpersonen keine Entschädigungen leisten, weil wir dann den Status der Gemeinnützigkeit verlieren würden», sagt er.

Und Rupieper sieht noch ein anderes Problem. «Wenn es zu Millionenklagen kommt, ist – unabhängig von unserem Verband – sofort die Insolvenzfrage in der Welt», sagt er. «Damit wäre dann aber auch den Betroffenen nicht gedient. Es könnte keine Aufarbeitung stattfinden, wenn die notwendigen Mittel dafür nicht da wären und damit keine Verbesserungen ermöglicht werden, was neben der Möglichkeit, Betroffenen Gehör zu verschaffen, ein zentrales Ziel ist.» Im Klartext: Die meisten Verbände könnten sich Entschädigungen im siebenstelligen Euro-Bereich wohl gar nicht leisten. Doch sind sie überhaupt verantwortlich?

«Eine Organisationshaftung gibt es grundsätzlich, aber auch solche Ansprüche unterliegen der Verjährung», sagt Paul Lambertz, Fachanwalt für Sportrecht. «Das Zivilrecht sieht für Schadensersatzansprüche, die auf der vorsätzlichen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung beruhen, eine Verjährungsfrist von 30 Jahren vor.»

Grundsätzlich sei jeder einzelne Fall «schmerzensgeldwürdig». Sollten Ansprüche bestanden haben, die bereits verjährt sind, «hätte der DSV meines Erachtens höchstens eine moralische Verpflichtung, den entstandenen Schaden zu kompensieren», sagt Lambertz.

«Bei einem Prozess wird es nur Verlierer geben»

Um Fälle sexualisierter Gewalt aufzuarbeiten, hat der Schwimm-Verband eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt. In Bezug auf Entschädigungszahlungen betont Rupieper die Notwendigkeit einer verbandsübergreifenden und grundlegenden Regelung, «damit sichergestellt ist, dass die Verbände und Vereine Wiedergutmachung leisten, aber gleichzeitig auch weiter agieren können». Fonds oder Stiftungen könnten eine Möglichkeit sein. «Es muss auch Maßstäbe geben, wie entschädigt wird und welche Formen der Entschädigung möglich sind. Das ist eine dringende Aufgabe im Sport, die wir gemeinsam angehen müssen.»

Dass der Fall Hempel zum Präzedenzfall werden könnte, sieht auch Sportrechtler Lambertz so. «Allerdings würde es trotzdem für andere Betroffene ein schwerer und langer Weg werden, ihre Ansprüche geltend zu machen, denn als Kläger ist man beweisbelastet, das heißt, als Kläger muss man den Nachweis der Übergriffe und deren Folgen führen.»

Auch bei Hempel könnte das kompliziert werden. «Die Beweisführung wird schwierig werden, da die Beschuldigten nicht mehr leben und so als Zeugen geladen werden können. Es ist also nicht mehr möglich, diese mit den Vorhaltungen zu konfrontieren», sagt Lambertz. Seine Prognose: «Bei einem Prozess wird es nur Verlierer geben.»

Von Thomas Eßer und Gerald Fritsche, dpa