28. März 2024

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Als Pandemie-Folge: Wird es die gedoptesten Spiele geben?

Viele Olympia-Starter haben nach langem Stillstand des globalen Doping-Kontrollsystems zum Beginn der Pandemie Zweifel an der Chancengleichheit bei den Tokio-Spielen. Dem steht das umfangreichste vorolympische Testprogramm entgegen.

Deutschlands Athletensprecher Max Hartung zweifelt nach dem monatelangen Stillstand bei den Dopingkontrollen in der Pandemie wie viele Olympia-Starter an der Chancengleichheit bei den Sommerspielen in Tokio.

«Das hat Türen geöffnet», sagte der Weltklasse-Säbelfechter. «Da gab es mehr Chancen für Betrüger.» Misstrauisch ist auch Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig. «Es bleiben Zweifel und Ungewissheit», sagte er. Die Welt-Anti-Doping-Agentur habe die Verantwortung, Chancengleichheit zu gewährleisten, doch in der Corona-Krise sei es «noch schwieriger gewesen, dieser Erwartung gerecht zu werden».

Den Argwohn der sauberen Athleten, bei den Tokio-Spielen mehr denn je von Dopern betrogen zu werden, kann Andrea Gotzmann verstehen, hält ihn aber zum größten Teil für unberechtigt. «Ich kann es in gewisser Weise nachvollziehen. Es wird ja immer wieder thematisiert und es ist wichtig, dass allen diese Chancengleichheit zu Teil wird», sagte die Vorstandschefin der Nationalen Anti-Doping-Agentur. «Manchmal entspricht die gefühlte Wirklichkeit nicht immer der Faktenlage.»

Kontrollsystem nicht immer gleich infrage stellen

Auch die Nada habe Rückgänge bei den Doping-Tests gehabt. Im vergangenen Jahr waren es 25 Prozent weniger als 2019. Darunter seien jedoch 54 Prozent Kontrollen bei Wettkämpfen weggefallen, weil Sportveranstaltungen wegen Corona abgesagt werden mussten. Dagegen sei die Zahl der Trainingstests, mit denen man Betrüger effektiver auf die Spur kommt, gleich geblieben. Zudem hätten auch die Doping-Bekämpfer in der Pandemie gelernt und «relativ zügig nach dem großen Lockdown» die Kontrollsysteme wieder hoch gefahren.

Die von der Welt-Anti-Doping-Agentur veröffentliche Statistik für die Zeit vom Corona-Ausbruch im März 2020 bis zur Wiederherstellung einer globalen Kontroll-Normalität weist hingegen große Unterschiede aus: Besonders eklatant war die Test-Erosion im April verglichen mit 2019 von 25.219 auf 578 und im Mai von 27.146 auf 2625 sowie im Juni von 26 904 auf 7706 weltweite Kontrollen.

Dass Doper diese Lücken in Scharen ausgenutzt haben, um mit leistungssteigernden Mitteln ihre Körper für die Tokio-Spiele illegal zu stärken, mag Gotzmann nicht so recht glauben. «Man sollte den mündigen Athleten nicht unterstellen, dass sie nichts anderes suchen, als solche zeitlichen Lücken zu nutzen und automatisch nach Dopingsubstanzen zu greifen», sagte sie. Außerdem solle man das Kontrollsystem nicht immer sofort infrage stellen: «Durch internationale Zusammenarbeit haben wir viele mögliche Lücken schließen können.»

Ausgefeiltes vorolympisches Anti-Doping-Programm

Das vorolympische Anti-Doping-Programm ist ausgefeilt wie nie zuvor. Die Internationale Test-Agentur (Ita), die die Federführung hatte, ließ auf Basis von 25.000 Kontroll-Empfehlungen in den vergangenen sechs Monaten potenzielle Olympia-Starter testen. «Die Empfehlungen für qualifizierte Athleten sind zu 80 Prozent umgesetzt worden», bilanzierte die Ita. Dieses Programm in Kooperation mit nationalen Anti-Doping-Organisationen und den Weltsportverbänden zeige «die globale Motivation, gleiche Bedingungen für alle zu gewährleisten». Es sei das umfangreichste Testprogramm, «das jemals vor einer Ausgabe der Olympischen Spiele umgesetzt» worden sei.

Vor den Rio-Spielen 2016 waren es nur 1500 Empfehlungen für sieben Risikosportarten. Angesichts dieser rasanten Steigerung mag die Nada-Chefin dem Verdacht, dass es in Tokio die gedoptesten Spiele werden, nicht folgen. «Das ist eine sehr schnelle Schlussfolgerung», meinte Gotzmann. «Die Arbeit, die bei uns und die international geleistet wurde, rechtfertigt diese vorzeitige Einordnung nicht.» Sogar der äußerst kritische Dopingexperte Fritz Sörgel hält den Generalverdacht für übertrieben: «Gedopteste Spiele: Wo ist da die Basis dafür?»

Von Andreas Schirmer, dpa