1. November 2024

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Buchmann: «Mein Leistungslimit noch nicht ausgereizt»

Eigentlich sollte Emanuel Buchmann bei der Tour gar nicht starten und beim Giro d'Italia aufs Podium. Doch nach dem Sturz-Aus hat sein Team umdisponiert. Der Tour-Vierte von 2019 geht als Joker ins Rennen.

Erst der Sturz kurz vor der Tour de France im vergangenen Jahr, dann das Malheur beim diesjährigen Giro d’Italia. Zweimal endeten die Podiumsträume der deutschen Rad-Hoffnung Emanuel Buchmann auf dem Asphalt.

Dieses Mal geht der Tour-Vierte von 2019 ohne Druck in die Frankreich-Rundfahrt. «Absichtlich abhängen» lassen will sich der 28-Jährige aber nicht. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht Buchmann über das Sturzpech, seine Tour-Ziele und den Start bei den Olympischen Spielen.

Emanuel Buchmann, wie haben Sie sich vom Sturz beim Giro d’Italia erholt?

Buchmann: Eigentlich ganz gut. Zuerst war der mentale Schmerz sicher größer. Körperlich hat das Knie etwas länger gezwickt, aber seit letzter Woche bin ich soweit wieder fit.

Sind Sie zum Tour-Start wieder bei 100 Prozent?

Buchmann: Das kann man schwer sagen. Mein Höhepunkt wäre der Giro gewesen, darauf habe ich mich monatelang vorbereitet. Die Form dann über fast zwei Monate zu halten ist, eigentlich fast unmöglich. Die letzten Wochen liefen aber ganz gut und meine Form ist sicherlich nicht schlecht.

«Ein Erfolgserlebnis wäre schon schön»

Erst der Sturz vor der Tour 2020, nun beim Giro 2021 – wie schwer ist es mental, mit diesen Rückschlägen umzugehen?

Buchmann: Es bleibt einem ja nichts anderes übrig, als sich dem zu stellen. Es sind nun mal Tatsachen. Es ist extrem hart, weil man wirklich viele Monate nur dieses Ziel im Kopf hat. Dann stimmt die Form, sehr Vieles wäre möglich, und dann steht man trotzdem vor dem Nichts. Aber darum wollte ich auch die Tour fahren, um den Giro möglichst schnell hinter mir zu lassen. Ein Erfolgserlebnis wäre schon schön. Man muss aber auch sagen, dass es einem Motivation gibt, wenn man sieht, was möglich gewesen wäre und dass man vorne dabei ist.

Wie verlief die Vorbereitung auf die Tour?

Buchmann: Soweit wie möglich gut. Ich bin nach einer Pause ins Höhentraining nach Livigno. Am Anfang musste ich wegen dem Knie noch etwas vorsichtig sein, aber dann habe ich sehr gut trainiert.

«Ich werde einfach mal schauen»

Wie lautet Ihre Zielsetzung für die Tour? Werden Sie sich die Option auf eine vordere Platzierung in der Gesamtwertung offen halten?

Buchmann: Wie ich schon gesagt habe, ich werde mich nicht absichtlich abhängen lassen. Aber der Kurs liegt mir nicht wirklich und Wilco (Kelderman) ist unser Leader. Er hat sich perfekt vorbereitet und hat die Rolle auch verdient. Ich werde einfach mal schauen, wo ich nach dem Zeitfahren und den ersten Bergetappen stehe.

Wie sehr fehlen Maximilian Schachmann und Lennard Kämna dieses Jahr im Team?

Buchmann: Schon etwas. Beide sind hervorragende Rennfahrer und wichtige Bestandteile unseres Teams. Aber die Jungs, die nun bei der Tour sind, sind definitiv auch top und die Mischung der Mannschaft ist sehr gut. Wir haben eine schlagkräftige Truppe.

Sie sind auch für das olympische Straßenrennen eine Woche nach der Tour vorgesehen. Lässt sich Olympia überhaupt mit der Tour kombinieren oder müssten Sie vorher aussteigen?

Buchmann: Das lässt sich schon kombinieren. Über den Giro wäre es einfacher gewesen wegen der Anreise und der Zeitumstellung, aber auch so klappt das. Wenn man aus der Tour mit guter Form kommt, kann das auch ein Vorteil sein, weil man die Rennhärte in den Beinen hat.

In Tadej Pogacar, Remco Evenepoel und Egan Bernal drängen drei Jungstars immer mehr ins Rampenlicht. Wie sehen Sie zukünftig Ihre Chancen auf eine Podiumsplatzierung bei einer großen Rundfahrt?

Buchmann: Ich sehe, dass ich da vorne dabei bin. Beim Giro hat man das eindeutig gesehen. Außerdem denke ich, dass ich mein persönliches Leistungslimit noch nicht ganz ausgereizt habe. Ich gehe also davon aus, dass ich auch in den kommenden Jahren eine Chance haben werde, bei einer Grand Tour aufs Podium zu fahren.

Chris Froome ist zurück. Was erwarten Sie von ihm noch?

Buchmann: Das muss man differenziert sehen, finde ich. Dass er nach diesen schweren Verletzungen überhaupt wieder zurück ist, verdient Respekt. Er ist unbestritten der beste Rundfahrer der Gegenwart. Allerdings wird er halt auch an diesen Erfolgen gemessen und da sehen ich im Moment für ihn wenige Chancen, wieder ganz oben zu stehen. Er ist offensichtlich noch ein ganzes Stück weg von seiner Bestform. Und ob die überhaupt ausreichen würde, steht auch in Frage, denn der Sport hat sich weiterentwickelt.

Die Corona-Zahlen sinken, es gibt zunehmend Lockerungen. Wie groß ist die Hoffnung auf eine weitgehende Rückkehr zur Normalität schon bei dieser Tour?

Buchmann: Bei dieser Tour sehe ich die noch nicht, aber ich gehe davon aus, dass schon wieder mehr Leute an der Strecke sein werden. Dann ist hoffentlich im nächsten Jahr wieder alles so, wie es früher war.

Die UCI hat einige Regeln für mehr Sicherheit im Peloton eingeführt. Wie ist Ihr Gefühl? Haben die Änderungen etwas bewirkt?

Buchmann: Na ja, bewirkt haben sie sicher etwas. Ich denke, dass das Flaschenthema auch wichtig ist, denn Ressourcenschonung und Umweltschutz sind wichtige Themen. Aber mit Sicherheit hat das aus meiner Sicht alles wenig zu tun. Im Supertuck (Sitzposition auf dem Oberrohr des Rennrads) ist, glaube ich, kein einziger Fahrer gestürzt. Aber zum Beispiel die Abfahrt letztes Jahr bei der Dauphiné-Rundfahrt, auf der ich gestützt bin und die Tour dann quasi dahin war, die war unfahrbar. Und solange man nicht dort ansetzt, meint man es aus meiner Sicht eigentlich nicht ernst. Als Fahrer könnte man den Eindruck gewinnen, es geht eigentlich nur darum, Strafen zu verteilen.

ZUR PERSON: Emanuel Buchmann (28) ist Radprofi beim Team Bora-hansgrohe. 2019 beendete der gebürtige Ravensburger die Tour de France auf dem vierten Platz und sorgte damit für die beste deutsche Platzierung seit 2006. Buchmann gewann 2015 die deutsche Straßenradmeisterschaft.

Interview: Stefan Tabeling und Tom Bachmann, dpa