Tadej Pogacar schoss mit seiner Handykamera noch schnell ein Foto von der Siegerehrung auf der Via Sanremo. Dabei hatte der drittplatzierte Rad-Star eigentlich ganz andere Bilder im Sinn. Dass es am Samstag aber wieder nichts wurde mit einem Sieg beim Radsport-Monument Mailand-Sanremo, hatte einen verblüffenden Grund. Pogacar war es einfach «nicht hart genug», wenngleich nach dem Sieg des belgischen Sprintkönigs Jasper Philipsen mit 46,112 km/h über 288 Kilometer das schnellste Stundenmittel in der 115-jährigen Geschichte des italienischen Frühjahrsklassikers gemessen worden war.
«Ich denke tatsächlich, dass es eines der einfachsten Rennen überhaupt war. Wir sind in den ersten Stunden ein superleichtes Tempo gefahren. Aber um zu gewinnen, muss alles perfekt sein. Dieses Mal war nicht alles perfekt», analysierte der Slowene, der eigentlich an der Cipressa, dem vorletzten Anstieg, die Sprinter loswerden wollte. Doch so richtig funktionierte auch die Tempo-Arbeit seines UAE-Teams nicht. «Da wir in den letzten Jahren die Art und Weise des Rennens verändert haben, ist jeder darauf vorbereitet, an der Cipressa zu leiden und am Poggio gut zu sein», haderte der 25-Jährige.
Pogacar versuchte es am Poggio – dem letzten Anstieg – nochmals mit zwei scharfen Attacken, doch der niederländische Weltmeister und Vorjahressieger Mathieu van der Poel führte die Rivalen und damit auch seinen schnellen Teamkollegen Philipsen wieder heran. «Auf der Abfahrt habe ich Mathieu angefleht, nicht mit Pogacar zusammenzuarbeiten, weil ich gute Beine hatte. Mathieu hat einen wundervollen Job gemacht. Ich werde ihm immer dankbar sein, dass er mir die Chance gegeben hat, ein Monument zu gewinnen», sagte Philipsen.
Spektakel ist heute schon weit vor dem Ziel angesagt
Teamwork in Perfektion, dabei hätte van der Poel nur zu gern als erster Fahrer seit Erik Zabel (2001) seinen Titel in Sanremo verteidigt. «Oh, wie hätte ich es geliebt, mit Tadej zum Finale zu fahren», meinte van der Poel. Stattdessen setzte sich Philipsen, der im Vorjahr vier Etappen und das Grüne Trikot bei der Tour de France gewann, hauchdünn vor dem australischen Sprinter Michael Matthews und Alleskönner Pogacar durch.
Ein Szenario, das in den vergangenen Jahren immer seltener geworden ist. Konnten tempoharte Sprinter wie Zabel, Mark Cavendish oder Alessandro Petacchi früher regelmäßig in Sanremo triumphieren, haben sich die Rennen mit der neuen Radsport-Generation grundlegend verändert. Spektakel ist heute bei Fahrern wie Pogacar, Remco Evenepoel oder van der Poel schon weit vor dem Ziel angesagt. Bestes Beispiel war der 81 Kilometer lange Soloritt von Pogacar beim Schotterrennen Strade Bianche vor zwei Wochen.
Bei den nächsten Klassikern überlässt Pogacar nun den Konkurrenten das Feld, der Slowene peilt in diesem Jahr das Double aus Giro d’Italia und Tour de France an. Nur bei Lüttich-Bastogne-Lüttich, wo er im vergangenen Jahr bei einem Sturz einen Kahnbeinbruch erlitt, tritt er noch zum Duell mit Evenepoel an.
Und die Deutschen? Georg Zimmermann war auf Platz 39 noch der beste von nur sieben Akteuren. Irgendwie bezeichnend für die Krise des deutschen Radsports, der in der Weltspitze nicht mehr vertreten ist. Den bisher letzten Sieg holte 2015 John Degenkolb, der 35-jährige Thüringer war dieses Mal nicht dabei. Seine Konzentration gilt dem Lieblingsrennen Paris-Roubaix. Immerhin: Auf Pogacar wird er bei der Kopfsteinpflaster-Tortur nicht treffen.
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